Shared Mobility als Datenlieferant für die Mobilitätssysteme der Zukunft

Shared Mobility als Datenlieferant für die Mobilitätssysteme der Zukunft

Wie Städte Mobilitätsdaten besser austauschen und nutzen können

Von: Ariane Stöbitsch, Lukas Böhm, Paul Bossauer



In diesem Artikel erfährst du…
…warum Daten wichtig für die Mobilitätswende sind.
…was es mit Datenstandards wie GBFS und MDS auf sich hat.
…wie Städte Datenstandards und Daten für sich nutzen können.
…wie MIAAS Städten und Anbietern hilft besser zusammenzuarbeiten.

Von individueller zu geteilter Mobilität
Die Mobilitätswende macht einen Wandel weg vom motorisierten Individualverkehr hin zu nachhaltigen Mobilitätsangeboten erforderlich. Die gemeinsame Nutzung von Autos, Fahrrädern und Co. im Rahmen von sogenannten Shared-Mobility-Angeboten bietet das Potential diesen Wandel zu unterstützen und bestehende Dienste wie den ÖPNV bedarfsgerecht zu ergänzen.

Gleichzeitig stehen Städte vor der Herausforderung, rasant wachsende Shared-Mobility-Angebote zielführend in die Gesamtmobilität zu integrieren. Eine mögliche Lösung? Daten! Die von den Flotten generierten Daten bieten die Chance, Städte bei zentralen Herausforderungen zu unterstützen. Vor allem ein Austausch von Daten wie z.B. Fahrzeugstandorten kann die Zusammenarbeit zwischen Städten und Anbietern verbessern.

Sharing erzeugt Daten
Nicht zuletzt seit der Zulassung von E-Tretrollern ist Shared Mobility auch in Deutschland mehr als ein Trend geworden. Vor allem in Städten werden Bikesharing, Scootersharing und Co. immer mehr zum festen Bestandteil der Mobilitätslandschaft. Bei jeder Fahrt werden dabei Daten erzeugt: Wo wurde die Fahrt gestartet? Zu welcher Uhrzeit war die Fahrt? Was war der Zielort? Bereits jetzt sind die Daten ein zentrales Mittel für Betreiber, um ihre Kunden besser zu verstehen und die eigenen Angebote zu optimieren.

Die Daten bergen jedoch auch ein riesiges Potential Städte dabei zu unterstützen die Mobilitätswende voranzutreiben. Derzeit wird der Datenschatz jedoch nur selten lokal genutzt. Dabei fehlt Städten vor allem eine einheitliche Zugriffsmöglichkeit auf die Daten aller Anbieter. Zudem besteht die Herausforderung, dass Städte regulatorische Informationen wie z.B. Parkverbotszonen mit immer mehr Anbietern austauschen müssen. Dieser Austausch ist derzeit meist nicht standardisiert, dadurch fehleranfällig und für alle Beteiligten aufwändig. Hier können Datenstandards helfen, die Zusammenarbeit von Städten und Anbietern zu verbessern und den Austausch von Informationen zu vereinheitlichen.

Standards für Mobilitätsdaten
Vor allem im nordamerikanischen Raum werden bereits Standards für einen einheitlichen Datenaustausch zwischen Städten und Mobilitätsanbietern eingesetzt. Die wichtigsten sind die Mobility Data Specification (MDS) sowie die General Bikeshare Feed Specification (GBFS). Beide Standards sind Open Source, sodass andere Städte und Anbieter ebenfalls darauf zugreifen und sie einsetzen können.  



General Bikeshare Feed Specification (GBFS)
GBFS wird von der North American Bikeshare Association und MobilityData betreut und zusammen mit der Open-Source-Community weiterentwickelt. Mit GBFS erhalten Shared-Mobility-Anbieter die Möglichkeit Daten mit Dritten zu teilen. Ursprünglich gedacht für den Bikesharing-Markt, haben Erweiterungen dafür gesorgt, dass GBFS auch mit anderen Angebotstypen kompatibel ist. Der Standard spezifiziert dabei vor allem ein Datenformat zum Abruf von Echtzeitdaten. Im Fokus steht der Abruf der Positionen von Fahrzeugen, die zum Zeitpunkt der Abfrage frei verfügbar sind und reserviert werden können. Aber auch Schnittstellen zum Abruf von Informationen bzgl. der Preisgestaltung, Öffnungszeiten und Abstellgebiete des Angebots werden spezifiziert.

Hier geht‘s zum GitHub Repository der GBFS


Mobility Data Specification (MDS)
MDS wurde ursprünglich vom Los Angeles Department of Transportation entwickelt und dann zur Weiterentwicklung an die Open Mobility Foundation übergeben. Der Datenstandard setzt sich aus sechs Programmierschnittstellen, sogenannte APIs, zusammen. Diese definieren verschiedene Funktionalitäten sowohl auf Anbieter- als auch auf städtischer Seite. Dabei ist MDS modular aufgebaut und einzelne APIs können je nach Bedarf kombiniert und genutzt werden. Im Vordergrund steht dabei der standardisierte Austausch von Daten zwischen Städten und Mobilitätsanbietern. Dieser Austausch kann im Unterschied zu GBFS in beide Richtungen stattfinden. Während Anbieter beispielsweise Informationen zu Fahrzeugen und Fahrten für Städte abrufbar machen, können Städte den örtlichen Anbietern ihrerseits regulatorische Informationen wie Parkverbotszoten zur Verfügung stellen. Im Gegensatz zu GBFS beschränkt sich MDS zudem nicht nur auf den Austausch von Echtzeitdaten, sondern ermöglicht auch den Abruf von historischen Daten. GBFS ist zudem auch Teil der MDS, da MDS eine öffentliche Schnittstelle für den Abruf von verfügbaren Fahrzeugen auf Basis von GBFS spezifiziert.

Hier geht‘s zum GitHub Repository der MDS

Anwendungsszenarien  

Anbieterregulierung
MDS kann Städte dabei unterstützen bei immer mehr Anbietern und wachsenden Flotten den Überblick zu behalten. Dafür ist es zunächst wichtig darüber informiert zu sein, welche Anbieter gerade in der Stadt aktiv sind, welche Fahrzeuge bereitgestellt werden (z.B. E-Bikes oder Roller) und wie groß die einzelnen Flotten sind. Hierfür können die von den Anbietern bereitgestellten MDS-Schnittstellen verwendet werden. Der Vorteil dabei ist, dass die Stadt die Informationen angebotsübergreifend in einem einheitlichen Format abrufen kann und nicht jeden Anbieter einzeln über eine individuelle Schnittstelle anbinden muss. Neben allgemeinen Informationen zu den Angeboten können für Städte vor allem auch Informationen zu den einzelnen Fahrzeugen interessant sein. Hierfür bietet eine MDS-Schnittstelle die Möglichkeit, die Position der Fahrzeuge abzufragen. So können Städte z.B. über- oder unterversorgte Bereiche in der Stadt identifizieren oder Fahrzeuge melden, die in Parkverbotszonen abgestellt wurden.

Neben der Möglichkeit angebots- und fahrzeugbezogene Daten abzurufen, bietet MDS auch die Möglichkeit einer Bereitstellung von regulatorischen Informationen durch Städte. Ein anschauliches Beispiel ist die Bereitstellung von Parkverbotszonen, d.h. bestimmte Gebiete innerhalb des Stadtgebiets, in denen keine Fahrzeuge abgestellt werden dürfen. Dies erfolgt derzeit meist manuell über eine Website der Stadt oder mithilfe von der Stadt bereitgestellten Dokumenten, die eine Karte oder Abbildung des Stadtgebiets mit entsprechend gekennzeichneten Zonen enthält. MDS standardisiert diesen Prozess und ermöglicht, dass Städte Parkverbotszonen in einem maschinenlesbaren Format für alle Anbieter zum Abruf bereitstellen können. Zudem bietet MDS auch die Möglichkeit Gebiete mit begrenzter Geschwindigkeit auszuweisen, Flottenlimits festzulegen oder temporär bestimmte Bereiche für die Durchfahrt zu sperren, z.B. im Rahmen von Events. Der standardisierte Austausch dieser Informationen über MDS reduziert dabei Aufwände für alle Beteiligten und ermöglicht gleichzeitig ein transparentes Regelwerk.

Mit MDS können Städte den Anbietern Parkverbotszonen und vorgesehene Abstellplätze übermitteln. (© City of Santa Monica)

Beispiele

  • Parkverbotszonen
  • Geschwindigkeits-
    begrenzung
  • Maximale Flottenanzahl

Verkehrsplanung und ÖPNV-Integration
Neben Echtzeitdaten, welche Aufschluss über den Status quo bieten, können zudem historische Daten helfen, die Verkehrsflüsse besser zu verstehen. Aktuell liegen Städten meist nur vereinzelt Daten über den örtlichen Verkehr vor, z.B. über Zählstellen, die PKW oder Fahrräder erfassen. Diese Methode der Verkehrserfassung ist jedoch meist nicht flächendeckend verfügbar und zudem sehr undetailliert. Aktuell ist es z.B. kaum möglich zwischen Autos aus Carsharing-Angeboten oder normalen PKW und zwischen Scootern und Fahrrädern zu unterscheiden. Doch gerade detaillierte Erkenntnisse über den Modal Split, d.h. die Zusammensetzung des Verkehrs, sowie dessen Entwicklung über die Zeit bieten zahlreiche Möglichkeiten für die Verkehrsplanung. Über eine MDS-Schnittstelle können Städte z.B. Daten über vergangene Fahrten mit Fahrrädern oder E-Tretrollern abrufen. Diese können Aufschluss über Verkehrsflüsse in der Stadt im zeitlichen Kontext bieten. Die Daten können so in übergeordnete Verkehrsmodellierungen der Stadt einfließen oder für die Planung von neuer Infrastruktur, wie z.B. Fahrradwegen oder Abstellzonen, verwendet werden. Der Vorteil ist, dass die Daten nicht nur Aufschluss über Verkehrsflüsse an einigen Messstationen, sondern detailliert über Bewegungen einzelner Fahrzeuge geben. Dabei kann auch zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen unterschieden werden.

Die Daten bieten die Möglichkeit die Integration von Shared-Mobility-Angeboten in den ÖPNV zu verbessern. Städte bzw. deren Verkehrsbetriebe können untersuchen, an welchen Haltestellen besonders viele Fahrten starten oder wo zu bestimmten Zeiten viele Fahrten enden. Auf dieser Basis kann zum einen die lokale Infrastruktur an der Haltestelle, z.B. Parkmöglichkeiten, optimiert werden oder Absprachen mit Anbietern zur gezielten Bereitstellung von Fahrzeugen an Haltestellen vereinbart werden.

Der Datenaustausch mit den Sharing-Anbietern gemäß der MDS bietet zudem das Potential, die historischen Fahrtrouten der Nutzer zu erhalten. Der Umfang des Datensets ist somit nicht nur auf bestimmte Orte, an denen Zählstellen implementiert sind, beschränkt, sondern umfasst das gesamte Servicegebiet der Mobilitätsanbieter. Städte können die erhaltenen Fahrtdaten aggregieren und dadurch vielbefahrene Straßen und Wege identifizieren. Die gewonnenen Erkenntnisse können in die Infrastrukturplanung einfließen. Zudem zeigen Heatmaps historischer, aggregierter Fahrtendpunkte das Parkverhalten der Nutzer auf. An Orten mit besonders hohem Parkaufkommen können Städte somit Abstellorte festlegen, welche die Anbieter wiederum in ihren Anwendungen für die Nutzer markieren müssen.

Mobilstationen fördern die Verknüpfung von ÖPNV und Sharing-Angeboten. (© Stadt Köln)

Beispiele:

  • Erkenntnisse über Verkehrsflüsse
  • Optimierung der Infrastrukturplanung
  • Unterstützung der multimodalen und intermodalen Mobilitätsplanung

Mobilitätsforschung
Ein wichtiger Aspekt im Rahmen der Mobilitätsforschung ist, das Mobilitätsverhalten von NutzerInnen besser zu verstehen. Dabei ist es beispielsweise interessant Details über den Mobilitätsalltag, die verwendeten Verkehrsmittel, die Kombination unterschiedlicher Dienste usw. zu erfahren. Meist kommen dabei qualitative Methoden wie Interviews oder quantitative Umfragen zum Einsatz. Diese Studien sind in der Regel jedoch sehr aufwändig und mit Bezug auf Umfang und Qualität der Daten stark limitiert. Für datengetriebene Studien, z.B. die für die Analyse des Mobilitätsverhaltens, fehlt oftmals eine geeignete Datenbasis. Hier können Anbieter die Daten z.B. über eine GBFS-Schnittstelle bereitstellen und für MobilitätsforscherInnen zugänglich machen. Gleichzeitig können Städte historische Daten aggregieren und datenschutzkonform für die Forschung zur Verfügung stellen.

MDS und GBFS bieten eine geeignete Datenbasis für die Mobilitätsforschung. (Böhm et al., Machine Learning-Based Demand Predictions for Shared Mobility Services 2020, S. 2)


Beispiele:

  • Analyse des Mobilitätsverhaltens
  • Kombination mit weiteren Datensätzen (z.B. Wetterdaten)

MIAAS macht Datenstandards nutzbar

Datenstandards wie MDS und GBFS schaffen zwar die Basis für einen standardisierten Austausch von Mobilitätsdaten, sind aber in der Praxis für Städte nur schwer zugänglich. Es fehlt an geeigneten Werkzeugen, die Städten den Einsatz von Standards ermöglichen, beispielsweise zum angebotsübergreifenden Abruf von Nutzungsdaten oder zur Definition von Parkverbotszonen. MIAAS schafft aus diesem Grund eine Plattform zur Entscheidungsfindung mit Mobilitätsdaten. Dazu werden Shared-Mobility-Daten aller Anbieter mit ÖPNV- und Umgebungsdaten zu einer standardisierten Entscheidungsgrundlage zusammengeführt und anschließend nutzbar gemacht.

Bei MIAAS kommen MDS und GBFS zum Einsatz.

Ein Dashboard für Mobility Intelligence bietet Städten und nachgeordneten Stellen einen zentralen Datenzugang und stellt gleichzeitig die benötigten Analysewerkzeuge zur Verfügung. Mit diesen soll eine datengetriebene Entscheidungsfindung zur Planung der Gesamtmobilität ermöglicht werden. Als weitere Kernkomponente ermöglicht MIAAS die Bereitstellung von regulatorischen Informationen für Shared-Mobility-Anbieter. Dies soll eine zielgerichtete Steuerung einer Vielzahl an Anbietern mit großen Flotten erleichtern.

Zusammenfassung 

Shared-Mobility-Angebote können zu einem zentralen Bestandteil der Mobilitätswende werden. Die wachsende Anzahl von Anbietern mit immer größeren Flotten stellt Städte jedoch bereits heute vor große Herausforderungen und erschwert die Steuerung der Gesamtmobilität im ohnehin schon engen urbanen Raum zusätzlich. Die von den Flotten generierten Datenmengen bieten die Chance, Städte bei diesen Herausforderungen zu unterstützen. Die Datenbasis wird derzeit jedoch kaum genutzt, da keine einheitliche Zugriffsmöglichkeit besteht und geeignete Werkzeuge zur Nutzbarmachung fehlen. Hier können Datenstandards wie MDS und GBFS Städten helfen, Mobilitätsdaten angebotsübergreifend lokal zu nutzen und gleichzeitig regulatorische Informationen für Anbieter bereitzustellen. MIAAS schafft aus diesem Grund eine Plattform zur Entscheidungsfindung mit Mobilitätsdaten und hat als Ziel Städte dabei zu unterstützen Shared Mobility in enger Verzahnung mit dem ÖPNV als einen zentralen Bestandteil der Mobilitätsstrategie zu etablieren.